Ein Zeitzeugnis nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 auf dem damaligen Kiedricher Marktplatz.
Seit der Antike war es gebräuchlich, durch Denkmäler an die Taten Einzelner oder ganzer Völker zu erinnern. Von der Trajanssäule in Rom aus dem Jahre 113, dem Arc de Triomphe in Paris (1806-1835) bis zur Siegessäule in Berlin (1873) oder auch das Niederwalddenkmal bei Rüdesheim am Rhein (1883) ist Europa reich an Denkmälern, die an Ereignisse aus unserer gemeinsamen Geschichte erinnern. Sie sind zugleich auch Mittel der politischen Propaganda - konstruierte Geschichtsbilder.
Warum entstand dieser Krieg?
DEUTSCH-FRANZÖSISCHER KRIEG (1870-71) Nach außenpolitischen Misserfolgen in Italien und Mexiko betrachtete Napoleon III. den preußischen Erfolg bei der Gründung des Norddeutschen Bundes mit Argwohn. Als sich dann bei der Nachfolge auf dem spanischen Königsthron 1870 die Kandidatur eines süddeutschen Hohenzollern abzeichnete, erweckte diese in Frankreich Ängste vor einer deutschen Einkreisung. Bismarck beförderte diese Kandidatur, wissend um den aufbrechenden Konflikt. Napoleon reagierte und untersagte die Kandidatur einer »fremden Macht« und drohte mit militärischen Konsequenzen. Als die Hohenzollern in Sigmaringen erschrocken ihre Kandidatur zurückzogen, feierte Napoleon dies als außenpolitischen Erfolg. Er setzte nach. Sein Botschafter Benedetti verlangte vom preußischen König auf der Kurpromenade von Bad Ems eine Verzichtsgarantie der Hohenzollern für alle Zukunft und eine Entschuldigung. Wilhelm I. ließ Napoleon aber mitteilen, er habe in dieser Angelegenheit nichts mehr zu sagen. Die schriftliche Mitteilung Wilhelm I. über diesen Vorfall, erhielt durch Bismarcks Überarbeitung in der »Emser Depesche« einen schärferen Ton: Frankreich habe sich angemaßt, den König öffentlich zu demütigen. Der Eklat war produziert. Napoleon III. spürte den Affront und erklärte, in seiner Ehre gekränkt, am 19. Juli 1870 dem militärisch unvorbereitet Preußen den Krieg. Die internationale Presse verurteilte Frankreich als Aggressor. Das europäische Bündnissystem setzte sich in Gang. Nicht nur der Norddeutsche Bund, sondern auch die Süddeutschen traten an die Seite Preußens. Rußland, England und Österreich mussten sich neutral verhalten. Bereits am 2. September 1870 kapitulierten die kaiserlichen Truppen bei Sedan. Napoleon III. wurde gefangen genommen. Am 4. September rief Paris die Republik aus und stürzte das zweite Kaiserreich. Napoleons Familie floh nach England. Die »provisorische Regierung der nationalen Verteidigung« bot Bismarck Frieden an. Die junge Republik war aber nicht bereit, über eine Abtretung von Elsaß-Lothringen zu verhandeln. Daraufhin wurde Paris am 19. September von deutschen Truppen belagert. Während der Belagerung begannen in Versailles die komplizierten Verhandlungen mit den süddeutschen Monarchen um die Gründung des Deutschen Reiches. Erst nachdem der Bayer Ludwig II. im Namen der deutschen Fürsten dem Preußenkönig die Kaiserkrone angetragen hatte, proklamierte der Großherzog von Baden am 18. Januar 1871 in Versailles Wilhelm I. zum Deutschen Kaiser. Man hatte sich zwar nicht auf den Titel »Kaiser des Deutschen Reiches« einigen können, aber das Deutsche Reich war gegründet.
Text aus: Edition MONUMENTtales, Siegessäule Berlin, Denkmäler erzählen Geschichte; siehe auch unter www.monument-tales.de
Aus den oben genannten Hintergründen, Zeitgefühlen und einem beginnenden Deutschen Nationalgefühl, wurde auch von der Gemeinde Kiedrich beschlossen, ein Denkmal für die vier gefallenen Kiedricher im Deutsch-Französischen Krieg 1870 bis 1871 zu errichten. Daniel Müller der diesen Krieg überlebte, war in der Funktion als Vorsitzender des Kiedricher Kriegervereins, Hauptinitiator. Er errichtete, auch wegen seines Gelöbnisses, ein Wegkreuz (WK 4) am Weg zur Weihermühle.
Die "durchaus protokollarischen" Informationen, aus der damaligen Zeitung dem RHEINGAUER BÜRGERFREUND, geben einen guten Eindruck zu den damaligen Empfindungen:
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aus Rheingauer Bürgerfreund 27. Mai und 5. Juli 1891 Stadt-Archiv Eltville am Rhein
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Eine Kartusche mit der Urkunde wurde bei der Grundsteinlegung unter das Fundament gelegt. |
Abb. 1 Urkunde der Gemeinde Kiedrich HHStA WI (Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden)
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Textzeilen wie Urkunde
Urkunde zur Grundsteinlegung des Kriegerdenkmals zu Kiedrich Der Kriegerverein zu Kiedrich hat beschlossen zur Erinnerung an den siegreichen Feldzug 1870/71, sowie zum Andenken an seine daselbst ge- fallenen vier Kameraden, nämlich 1) Ant. (Anton) Falkenstein gefallen bei Wörth. 2) Ant. (Anton) Rei....(xxx) tödlich verwundet bei Wörth (gestorben) im Lazareth zu Forbach 3) Ant. (Anton) Weri (tz) gefallen bei Sedan, und 4) Joh. (Johann) Faus... (Faust) gestorben in Bietsch vor Paris. Ein Denkmal zu errichten. Zur näheren Erklärung dienen folgendes: Der für das .... (v) er einigte Deutschland so siegreich (...e)ndete Feldzug (Krieg) wurde von (....) Erbfeind den Franzosen, (....)gierung Napoleon d. III (...) (en-)dete mit der ....Frankreich. Das .... Lothringen wieder von denk(baren) .... (?) und fünf Miliarden Kriegskontributionen zu seine
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Drei weitere Urkundenblätter wurden in dieser Kartusche niedergelegt. Bei
der Umsetzung (1974/75) wurde diese Kartusche gefunden und von der
Gemeinde Kiedrich dem Hessischen Hauptstaats-Archiv in Wiesbaden
übergeben. |
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Am 10. August 1891 wurde das Kriegerdenkmal eingeweiht. |
Rheingauer Bürgerfreund 12. Aug. 1891 Stadt-Archiv Eltville am Rhein
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Abb. 2 Ansicht Marktplatz vom Turm der St. Michaelskapelle ca. 1891
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Inschriften und Attribute auf dem Kriegerdenkmal
Auf der Spitze der Säule der preussische Adler
VORDERSEITE, auf dem oberen Teil der Säule ein Lorberkranz, "Zur ERINNERUNG an den siegreichen Feldzug 1870/71" Zwei gekreuzte Kanonenrohre mit drei Kanonenkugeln
VORDERSEITE, auf dem unteren Sockel, Schrifttafel
Anton Falkenstein, Anton Reitz
Anton Weritz, Johann Faust
RÜCKSEITE, RECHTE UND LINKE SEITE, auf dem unteren Sockel, Schrifttafel
Eingeschlagen waren die Namen der 40 Kiedricher Kriegsteilnehmer. Hinter dem Namen stand das Sterbejahr.
Das Denkmal wurde mit einem Eisengitter umgeben und der Platz mit Linden bepflanzt. Zu sehen ist ein Springbrunnen hinter dem Denkmal und sogar auch vor dem Denkmal. Weiterhin kann man die Lindenbäume vor der Kirchhofsmauer erkennen. |
Fest auf dem Marktplatz am 23. Juli 1900 aus Rheingauer Bürgerfreund 26. Juli 1900, Stadt-Archiv Eltville am Rhein.
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Abb. 3 Kriegerdenkmal und Rathaus 1901
Ein Eisengitter sicherte des Denkmal. (Gitter wurde im 2. Weltkrieg abgegeben).
Eine Stufe ist beidseitig mit großen Steinen gesichert.
Feuerholz vor dem Rathaus. Der Marktbrunnen war entfernt.
Die Elektrifizierung war noch nicht begonnen. (siehe Abb. 4, Strommast)
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Abb. 4 Kriegerdenkmal und Gasthaus Engel 1911
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Abb. 5 Kriegerdenkmal 1953
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Abb. 6 Kriegerdenkmal-Rückseite 1960 |
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Umsetzen des Kriegerdenkmals
Der
Gemeindevorstand Kiedrichs beschloss, am 1. Oktober 1974, den Marktplatz
neu zu gestalten und deshalb das Denkmal auf den alten Friedhof zu
versetzen. Dies wurde im August 1986 durchgeführt. (Quelle: Pfarrchronik
S. 405)
Der preussische Adler wurde vor dem Umsetzen beschädigt (absichtlich von zwei Kiedrichern, weil vermeintlich dies ein NAZI-Adler sei) , indem ein Flügel abbrach. Die Zusage eines Villmarer Steinmetzen, diesen Adler kostenlos zu reparieren, ist nicht eingehalten worden. Die
Namen der Kiedricher Gefallenen und der Kriegsteilnehmer wurden
beseitigt (weggemeisselt), ebenso alle sonstigen Attribute des Denkmals.
Im Jahr 1986 entstand ein neuer Spruch (Abb. 8). |
Abb. 7 Ein Torso des ursprünglichen Kriegerdenkmals auf dem alten Friedhof
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Abb. 8 Inschrift von 1986 |
Man
kann die Dokumentation dieses Zeitzeugnisses nicht beschreiben, ohne die
Frage stellen zu müssen, warum die Inschriften der ehemaligen
Kiedricher Bürger ausgemeißelt wurden? Wer hat dazu den Auftrag gegeben?
Eine schriftliche Unterlage dazu liegt bis heute nicht vor. |
Abb. 9: GEDENKTAFEL angebracht am 22.01.2009 |
Bürgermeister Winfried Steinmacher stiftet am 22.01.2009 eine GEDENKTAFEL: Dieses Kriegerdenkmal wurde zur Ehrung der Kiedricher Gefallenen und Teilnehmer am Deutsch-Französischen Krieg von 1870-71 errichtet. Diese Tafel soll die ursprünglich auf dem Denkmal angebrachten urkundlich belegten Namen in Erinnerung bringen
Anton FALKENSTEIN gefallen in Wörth Anton REITZ verwundet bei Wörth gestorben im Lazarett zu Forbach Anton WERITZ gefallen bei Sedan Jahann FAUST gefallen in Bietch vor Paris
KRIEGE BRINGEN NUR UNHEIL
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Abb. 10: Der stark beschädigte preussische Adler
Die Teile des preussischen Adlers vom Kiedricher Kriegerdenkmal wurden am
22.01.2009 gefunden und bedürfen der Renovierung.
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Text: Werner Kremer Fotos: Abb. 1, 5, 7, 8, 10, W. Kremer Abb. 2, Scan-Kopie, Bild N.Faßbinder Abb. 6, Egon Aumüller Abb. 3, Archiv Förderkreis Kiedrich-Geschichte (Postkarte) Abb. 4, Archiv Förderkreis Kiedrich-Geschichte (Postkarte) Abb. 9, Manfred Hambrecht Letzte Aktualisierung: Werner Kremer 16.01.2013, 21.04.2015
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