Graf Cratzischer Hof
In einem großen, ehemals labyrinthartig angelegten Garten (daher Errgaade = Irrgarten) steht seit dem 19. Jh. ein schlichtes Landhaus. Keller und Fundamente gehen jedoch auf einen Scharfensteiner Hof des 14. Jh. zurück. Seinen Namen trägt er von Hugo Eberhard Graf Cratz von Scharfenstein, Bischof von Worms (1654 -1663), der ihn 1661 seinem Neffen Hugo Ernst vermachte. Dieser starb als letzter seines Geschlechtes 1718, der Hof kam im Erbgang an die Grafen von Solms-Rödelheim, und wurde Anfang des 19. Jahrhunderts verkauft. Unter den bürgerlichen Nachfolgern des 19. und 20. Jh. sei vor allem der jüdische Kaufmann und Schriftsteller Gerson Stern genannt, der den Hof von 1920 bis 1937 besaß und ihm den Namen "Haus Sönneck" gab. Später war auch zeitweise der Name "Haus Scharfenstein" üblich. |
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Literatur: [57] ; [82] ; [9] ; [62] ; [62] ; [14] Text: Josef Staab, Bruno Kriesel Fotos: Werner Kremer 05/2004 Aktualisierung: Torsten Ahlhorn u. Werner Kremer 12.06.2015 |
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STOLPERSTEINE Gunter Demnig, Kölner Künstler, hat die Stolpersteine für die von 1920 bis 1937 in Kiedrich wohnende jüdische Familie Stern entsprechend der Datenvorgabe vom Förderkreis entworfen. Im Rahmen einer kleinen Feierstunde am 16. März 2010 vor dem ehemaligen Wohnhaus der jüdischen Familie Stern wurden drei Stolpersteine verlegt. |
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Abb. 1: Der Künstler Gunter Demnig vor der Verlegung der Stolpersteine |
Abb. 2: Die drei verlegte Stolper-Steine |
Abb. 3: Gesamtansicht im Pflaster |
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Abb. 4: von links nach rechts: Bruno Kriesel Vorsitzender Förderkeis Kiedricher Geschichts- und Kulturzeugen e.V., Bürgermeister Winfried Steinmacher und Künstler Gunter Demnig |
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Drei Stolpersteine erinnern an die jüdische Familie Stern Zahlreiche Bürger waren zur Verlegung am ehemaligen Wohnhaus in der Scharfensteiner Straße 16 gekommen. Im Rahmen einer kleinen Feierstunde in der Scharfensteiner Straße 16 sind am 16. März 2010 in Erinnerung an die von 1920 bis 1937 in Kiedrich lebende jüdische Familie Stern vor ihrem ehemaligen Wohnhaus drei Stolpersteine verlegt worden. Sie tragen die Namen und Daten von Gerson, Erna und Joel Stern. Die Anregung von Katharina Krams-Strauch zu dieser Aktion war vom Förderkreis Kiedricher Geschichts- und Kulturzeugen aufgenommen und in die Tat umgesetzt worden. Für je einen der drei Stolpersteine hat der Förderkreis, die Gemeinde Kiedrich und Martin Schlicker die Patenschaft übernommen. Sie gehen nunmehr in den Besitz der Gemeinde über. Die Stolpersteine geschaffen und eingesetzt hat der Kölner Künstler Gunter Demnig. Sie sind aus Beton gegossen und tragen an der Oberseite eine 10 x 10 Zentimeter große Messingtafel, in der er mit Hammer und Schlagbuchstaben den Namen, den Jahrgang und das weitere Schicksal jedes einzelnen Menschen einstanzt. Bisher hat der Künstler in 536 Kommunen in Deutschland rund 20.000 Stolpersteine verlegt. Kiedrich ist, so Demnig, nunmehr die 537. Kommune und die bisher einzige im Rheingau. „Die alten Kiedricher haben die jüdische Familie Stern sehr gut gekannt und in guter Erinnerung behalten. Mit ihrem Sohn Joel (Rufname „Jolo“) habe ich selbst sehr gute Kontakte gehabt“, ließ Erster Vorsitzender Bruno Kriesel im Zeitraffer einige Daten über die ehemaligen Kiedricher Bürger kurz Revue passieren. Bürgermeister Winfried Steinmacher dankte im Namen der Gemeinde, sowohl für die Anregung als auch für dessen Realisierung. Der intensiven Recherche von Rudolf Fenzl, Stellvertretender Vorsitzender des Förderkreises Kiedricher Geschichts- und Kulturzeugen, ist es zu verdanken, daß inzwischen viel über das Leben der Familie Stern, ihre Zeit in Kiedrich und ihre Emigration nach Jerusalem bekannt geworden ist. Darüber hat er auch einen Beitrag in dem vor zwei Jahren erschienenen Nachschlagewerk „Kiedricher Persönlichkeiten aus sieben Jahrhunderten“ veröffentlicht. Gerson Stern, Kaufmann und Schriftsteller wurde, wie darin zu lesen ist, in Holzminden/ Nieder- sachsen am 7. Juli 1874 geboren. Er war 10Jahre alt, als die Eltern nach Elberfeld umzogen, wo er nach einer kaufmännischen Ausbildung auch arbeitete. Nach Aufenthalten in Berlin, Feudigen im Sauerland, Buchenau in Hessen und Frankfurt am Main hatte er mit seiner Frau Erna im Mai 1920 den geschichtsträchtigen ehemaligen Kiedricher Adelshof, den Graf Cratzischen Hof in der Scharfensteiner Straße gekauft und ihn nach seinem jugendlichen Kosename „Sönne“ Haus Sönneck benannt. Von 1921 bis 1924 war Stern Inhaber der Kiedricher Zuckerwarenfabrik „Dukiwerk GmbH“, deren Produkte jedoch in Dudeldorf in der Eifel hergestellt wurden. Danach war er auch Teilinhaber bei dem Frankfurter Wäsche- und Wollehaus „Schwarz & Stern“. Als sich streng an die Regeln haltender Jude fungierte Stern als Vorbeter in der Synagoge in Eltville. Stern liebte klassische Musik, veranstaltete Konzerte in seinem Haus mit jungen Musikern und hielt literarische Lesungen. Dabei setzte er sich sowohl für die jüdische als auch nichtjüdische Jugend im Rheingau ein. Der junge Kiedricher Bildhauer Anton Krams konnte sein erstes Atelier im Nebenbau von Haus Sönneck einrichten. Die von ihm modellierte Porträtmaske Gerson Sterns befindet sich heute wieder in Kiedrich. Nachdem ab 1933 zunehmende Beeinträchtigungen des jüdischen Lebens durch die Gesetzgebung entstanden waren, verkaufte Stern sein Kiedricher Anwesen und emigrierte mit seiner Familie nach Jerusalem, wo er sich als Journalist, Schriftsteller und Kritiker betätigte. Am 15. Januar 1956 verstarb Stern in Jerusalem im Alter von 81 Jahren. Als Schriftsteller ist Stern insbesondere durch seine Romane „Weg ohne Ende“ (1934/Ndr. 1999), „Die Wage der Welt (1947/Ndr. 2007), „Auf drei Dingen steht die Welt“ (1935/Ndr. 2003) sowie durch den Gedichtband „Stille Wege“ (1945) bekannt geworden. Die Werke sind Bestandteil der Kiedricher Gemeindebibliothek und können auch im Buchhandel erworben werden. Erna Stern, eine Schwester des bedeutenden Wüstenforschers Michael Evenari (ehemals Walter Schwarz), wurde 1894 in Metz/Lothringen geboren. Sie war nach der Emigration erstmals 1963 wieder nach Deutschland zurückgekommen. Auch bei weiteren Besuchen hatte sie immer wieder Freunde, Bekannte und Helfer in Kiedrich besucht. Auf der Rückreise vom Deutschlandbesuch ist sie am 23. August 1967 in Brixen/Italien verstorben, fand sie ihre letzte Ruhestätte auf einem Friedhof in Jerusalem. Sohn Joel Harry (Rufname „Jolo“) wurde am 12. Dezember 1920 in Kiedrich geboren, wo er zunächst die Volksschule besuchte. Nachdem ihm aufgrund der Rassentrennung in den Schulen der Besuch des Humanistischen Gymnasiums in Wiesbaden verwehrt worden war, wechselte er zu dem jüdischen Landschulheim Herrlingen (bei Ulm), ab Ostern 1938 in einer jüdischen Schule in Frankfurt am Main. Nach der Emigration nach Palästina ließ er sich zum Jugendfürsorger ausbilden. Neben seiner Berufsarbeit war er ab 1943 als Lyriker tätig und verfasste eine Reihe von Gedichten. Im Unabhängigkeitskrieg Israels schwer verwundet, starb Joel Stern am 27. Februar 1948. |
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Text Stolpersteine: Mit freundlicher Genehmigung von Manfred Hambrecht, Bericht erschienen im Rheingau Echo Nr. 11 vom 18.03.2010. Textänderung 17.12.2013: letzter Satz: Unabhängigkeitskrieg Israels Eingestellt: Werner Kremer 13.04.2010 |
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