Leuchterweibchen (Geweihleuchter)
LEUCHTERWEIBCHEN AUS KIEDRICH Fotografiert im sam dem Stadtmuseum am Markt in Wiesbaden.
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Expertise von Frau Prof. Dr. Juliane von Fircks (Text um 2008) (Ist heute Professorin für Kunstgeschichte an der Universität Jena)
Leuchterweibchen aus Kiedrich im Rheingau um 1400, Nußbaum, gefasst, Maße: Höhe: 39,5 cm, Breite: 22 cm, Tiefe: 13 cm
1.1 Darstellung Die zum Schmuck eines Geweihleuchters bestimmte Figur zeigt eine gekrönte, höfisch gekleidete junge Frau auf einem Adlerthron. Die schwarz-grau gefiederten Adler mit goldenen Schnäbeln und Klauen haben sich auf einem Grashügel niedergelassen, der unten mit drei großen Wappen ausgestattet ist und die Figur zugleich als Wappenhalterin kennzeichnet. Die Adler sind mit den Rückseiten leicht zueinandergedreht, ihre Schwanzfedern ineinander verschränkt, so dass ihre aufsteigenden Rücken als Sitz fungieren. Gerade nach vorn schauend hat die junge Dame hier Platz genommen und hält mit den Armen die beiden Vögel umfaßt, welche sie flankieren, die Köpfe ihr zugewendet und den Blick zu ihr erhoben. Angetan ist sie mit einem langen, goldenen Kleid, dessen großer Halsausschnitt die Schultern freilässt. Am Oberkörper und über dem Bauch noch eng anliegend, entwickelt das Kleid um Hüften, Beine und Arme eine enorme Weite und fällt in schweren, stoffreichen Falten herab. Die langen Haare sind im Rücken zu einem dicken Zopf geflochten, aus dem einige kürzere Strähnen herausgerutscht sind, welche eng gelockt das Gesicht umrahmen. Die drei Wappen zu Füßen der Sitzenden entsprechen ihrer Form nach einer Ahnenprobe: in der Mitte befindet sich ein großes, ungeteiltes Wappen, welches von zwei kleineren, viergeteilten Wappen gerahmt ist.
1876 kam das Leuchterweibchen als Geschenk des Kiedricher Pfarrers Johannes Zaun in die Sammlung des Museums (Landesmuseum Wiesbaden) (Angabe des lnventarbands). Laut Aussage des Pfarrers stammt die Figur aus der Burg Scharfenstein in Kiedrich im Rheingau. Hinweise auf die urspünglichen Besitzer zur Überprüfung dieser ungesicherten Behauptung ließen sich nicht gewinnen. Aufgrund des extrem schlechten Erhaltungszustandes war die Identifizierung der angebrachten Wappen bisher nicht möglich, sodass sie für keine am Mittelrhein zur Entstehungszeit ansässige Familie mit Sicherheit in Anspruch genommen werden können. ln dem ersten Führer durch die Sammlung von 1888 wird die Figur als Teil eines Geweihleuchters erwähnt. Als solchen zeigt sie eine alte Postkarte, klein im Hintergrund der Räume des Erbprinzenpalais, noch vor Umzug der Sammlung in den heutigen Museumsbau 1915. Auf einem Geweih befestigt und mit einer Deckenaufhängung aus verzierten Eisenstangen ist sie dort abgebildet. Geweih und Aufhängung stammen höchstwahrscheinlich nicht aus der Entstehungszeit. Während der Untersuchung zeigten die meisten Farbbereiche Reste von bis zu drei Überfassungen, welche vermutlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wieder entfernt wurden. Heubach weist 1913 in den Nassauischen Heimatblättern (17. JG., Nr.1, S. 14) auf ein 1876 verfaßtes Schreiben hin, welches sich mit den Wappen beschäftigt und diese zu deuten versucht. Da der Deutungsversuch weitestgehend dem heutigen Bild der Wappen entspricht, muß davon ausgegangen werden, dass die angesprochenen Überfassungen zu diesem Zeitpunkt bereits wieder abgenommen waren. Denn an den Resten deutlich erkennbar folgte die Überfassung der Wappen ihrer originalen Gestaltung in keiner Weise und dürfte keinen Hinweis auf ihre ursprüngliche Erscheinungsform geliefert haben. 1975/76 wurde das Leuchterweibchen für die Ausstellung: "Kunst um 1400 am Mittelrhein" ins Frankfurter Liebighaus ausgeliehen und ist im Katalog der Ausstellung mit Foto abgebildet. Obwohl anhand der Abbildung nur wage zu beurteilen, entsprach der damalige Zustand der Skulptur im großen und ganzen dem heutigen. Leider ist die alte Aufnahme nicht mehr auffindbar. (Das Kiedricher Leuchterweibchen, als Bestand der Sammlung Nassauischer Altertümer, wurde weitergegeben an das Wiesbadener Stadtmuseum und ist ausgestellt im sam Stadtmuseum am Markt ab dem 06. Dezember 2020 unter dem Thema Schätze neu entdecken!.) Eine sehr sehenswerte Ausstellung! |
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Ansicht der Rückseite, Die Aushöhlung diente zur Befestigung des Geweihs
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Statussymbole - Entstehung der Geweihleuchter
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Die heute außergewöhnlich anmuteten Geweihleuchter stehen in Verbindung mit der Entwicklung des Wappenwesens. Ursprünglich dienten Wappen dazu, im Schlachtengetümmel die kriegführenden Parteien zu unterscheiden. Auch bei Ritterturnieren halfen sie, die Konturen zu erkennen. Als Zeichen von Abstammung, Zugehörigkeit und Status zierte das Wappen seit dem späten Mittelalter nicht nur Porträts von Personen, sondern auch ihre »Platzhalter«, wie etwa Siegel oder Grabsteine. Ob in herrschaftlichen, kirchlichen oder profanen Bereich: Das Wappen war ein Statussymbol von höchsten Rang. Während das Selbstbewusstsein von Städten und Bürgern, Zünften und Handwerdern oder auch Bauern erstarkte, traten auch die ersten GEWEIHLEUCHTER auf. Bereits in der Darstellung von Wappen sind nicht selten Figuren und Geweihe verbunden. Letztere waren begehrte Jagd- trophäen und geschätzte Geschenke, zumal die Jagd dem Adel vorbehalten war. Symbolisch stehen Geweihe für Kraft, Macht und Stärke, aber auch für Fruchtbarkeit und Glück. Als Figuren waren neben Tieren auch Fabel- und Mischwesen wie Drachen, Greifen oder Meerjungfrauen beliebt, die im Schild des Wappens selbst erscheinen oder es flankieren. In den Geweihleuchtern sind Figur, Geweih und Wappen dreidimensional umgesetzt. Nicht selten übernimmt dabei die Leuchterfigur die Funktion eines »Schildhalters«. |
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Text: sam STADTMUSEUM AM MARKT in Wiesbaden |
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-------------------------------------------------------------------------------------------------------- Eigentum: Sammlung Nassauische Altertümer Zimmermann-Deissler Städel-Jahrbuch 3/4, 1924, S. 24. Tobias Kunz, Festschrift zu Ehren von Hartmut Krohm, Petersberg 2008, S. 98-110. |
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